Starke Kinder, starkes Wissen: Frau Andrea Huber über das ICH-Buch-Projekt
Frau Andrea Huber, Kontinenzberaterin am Kinderspital Zentralschweiz Luzern, engagiert sich für Kinder und Jugendliche mit neurogener Blasen-, Darmdysfunktionen. Im Rahmen eines Förderprojekts der Stiftung «Zukunft Kinderspital Zentralschweiz» entwickelte sie eine innovative Edukationsbroschüre, integriert in ein interaktives ICH-Buch. Dieses Buch soll betroffene Kinder und ihre Familien in ihrem Selbstmanagement unterstützen und ihnen helfen, die Herausforderungen des Alltags besser zu meistern.
Frau Huber, als Kontinenzberaterin für Kinder und Jugendliche mit neurogener Blasen- und Darmfunktionsstörung verfügen Sie über ein sehr breites Fachwissen. Was war Ihre Motivation, dieses Wissen in einem Buch für Kinder weiterzugeben?
Als Kontinenzberaterin für Kinder und Jugendliche mit neurogener Blasen- und Darmfunktionsstörungen war es mir wichtig, mein Fachwissen in einem Buch für Kinder weiterzugeben, um die betroffenen Familien bestmöglich zu unterstützen.
Die Hauptziele der Behandlung sind der Erhalt der Nierenfunktion, die Verbesserung der Blasen- und Darmentleerung sowie das Erreichen sozialer Kontinenz. Dafür benötigen die Kinder und ihre Familien eine umfassende Betreuung und regelmässige Schulungen, die sie im Selbstmanagement stärken.
Jährlich veranstaltet die IG Kidsempowerment ein Seminar, bei dem Kinder und Jugendliche wichtige Techniken wie den intermittierenden Selbstkatheterismus erlernen. Die dabei erworbene Handlungskompetenz und das erweiterte Wissen über die Blasen- und Darmfunktion sind entscheidend für ihren Alltag. Um dies optimal zu fördern, braucht es jedoch geeignetes Schulungsmaterial, das im Arbeitsalltag oft fehlt.
Als ich erfahren habe, dass die Stiftung Zukunft Kinderspital Zentralschweiz im Rahmen des Förderprogramms Zukunftsprojekte pro Jahr 4 Projekte finanziell unterstützt, ergriff ich die Chance und reichte ein Projektgesuch für das «ICH Buch» ein.
Erzählen Sie uns doch etwas über Ihre berufliche Laufbahn und wie Ihre Erfahrungen und Qualifikationen zur Entstehung dieses Projekts beigetragen haben?
Nach Abschluss meiner Lehre als Pflegefachperson und dem Sammeln von Berufserfahrung in der Kinderchirurgie absolvierte ich den Bachelor Studiengang in Science of Nurse. Meine Bachelorarbeit widmete ich dem Thema Interventionen bei neurogener Darmdysfunktion bei Kindern mit Spina Bifida. Zudem bin ich als Vertreterin des Kinderspitals Zentralschweiz Luzern Mitglied in der IG kidsempowerment.
Nach langjähriger Tätigkeit als Pflegeexpertin auf der stationären Kinderchirurgie wechselte ich in den ambulanten Bereich (Kinderurologie) und betreue Kinder mit neurogener Blasen- und Darmfunktionsstörung. Zu meiner täglichen Arbeit gehört die Familien- und Patientenschulung.
Besonders freut es mich, wenn ich Familien und Kindern Unterstützung und Perspektiven bieten kann.
Sie beraten im Kinderspital Zentralschweiz des Luzerner Kantonsspitals täglich Kinder, Jugendliche und deren Eltern. Welche Rolle spielen diese Erfahrungen und Begegnungen bei der Entwicklung des ICH-Buches?
Eine wichtige Rolle, denn sie sind die Hauptakteure. Sie möchte ich ansprechen, begleiten und beraten.
In meiner täglichen Arbeit erkenne ich wiederkehrende Fragen und Sorgen, welche die Familien belasten. Ich sehe auch, dass es eine grosse Herausforderung ist, mit einer chronischen Krankheit zu leben und den Alltag zu meistern. Ich habe grossen Respekt vor allen Betroffenen und deren Eltern. Sie leisten Ausserordentliches. Gerne bin ich ihnen eine Stütze.
Das ICH-Buch ist interaktiv. Erklären Sie uns, was das bedeutet und warum Sie diese Form gewählt haben.
Das ICH-Buch ist interaktiv gestaltet, um mehr als nur Wissen zu vermitteln – es rückt den Menschen hinter der Diagnose in den Mittelpunkt. Es begleitet Kinder und ihre Eltern von der Geburt oder Neudiagnose an, unterstützt sie bei der Krankheitsbewältigung und stärkt das Selbstbewusstsein der Kinder.
Mein Ziel war es, ein Buch zu schaffen, das nicht einfach im Regal verstaubt, sondern immer wieder zur Hand genommen wird. Dies wollte ich erreichen, indem die Kinder aktiv am Buch mitarbeiten können, etwa durch das Einkleben von Fotos oder das Erarbeiten des Ablaufs des intermittierenden Selbstkatheterismus (ISK). Sie können auch Lieblingspersonen einbeziehen, indem diese eine Seite im Buch gestalten.
Die Figuren „Wundernase“ und „Schlaumeier“ begleiten die Kinder durch das Buch, erklären komplexe medizinische Themen auf kindgerechte Weise, und regen mit vielen Fragen zum Mitmachen an. Zusätzlich bieten QR-Codes weitere Informationen und Unterhaltung, was das Buch lebendiger und interaktiver macht.
Wie haben Sie das Konzept für das ICH-Buch entwickelt? Welche Überlegungen standen dabei für Sie im Vordergrund?
Die Entwicklung des ICH-Buchs war ein umfangreicher Prozess, der viele Schritte umfasste – von der Einreichung des Fördergesuchs bei der Stiftung über die Konzepterarbeitung, das Erstellen des Manuskripts, die Zusammenarbeit mit Grafikern und das Finden von Sponsoren bis hin zum fertigen Buch. Dazwischen lagen viele intensive Arbeitsstunden.
Für die Konzepterstellung stützte ich mich auf verschiedene Materialien, darunter Unterlagen aus den Workshops unseres IG-Seminars sowie Edukationsbroschüren vom Universitäts-Kinderspital Zürich. Diese dienten als wertvolle Grundlage, um ein fundiertes und praxisnahes Buch zu entwickeln.
Sie haben das ICH-Buch in Zusammenarbeit mit einer Grafikagentur gestaltet. Herausgekommen ist ein gelungenes Kinderbuch, das sowohl informativ als auch ansprechend gestaltet ist. Wie ist es der Agentur gelungen, sich auf das Thema einzulassen und Ihr Fachwissen und Ihre Ideen umzusetzen?
Die Grafikagentur hat sich intensiv auf das Thema eingelassen, indem sie an einem ISK-Seminar-Workshop teilnahm und dabei die Kinder und ihre Bedürfnisse direkt kennenlernen konnte. So erhielten sie ein klares Bild der Zielgruppe und der Empfänger des Buches.
Auf Grundlage eines von mir erarbeiteten Konzepts und Manuskripts, haben wir in engem Austausch und durch mehrere Überarbeitungen gemeinsam daran gearbeitet, meine Ideen umzusetzen. Die Grafikagentur hat es dabei auf sehr professionelle Weise geschafft, meine Vorstellungen in ein ansprechendes und informatives Kinderbuch zu übertragen.
Was waren die grössten Herausforderungen und wie haben Sie diese gemeistert?
Die grösste Herausforderung bestand darin, alles unter einen Hut zu bringen - meine beruflichen und familiären Verpflichtungen mit der Arbeit am Buch zu vereinbaren. Ausserdem habe ich anfangs den Zeitaufwand für die einzelnen Projektschritte unterschätzt. Dank guter Organisation und Unterstützung konnte ich diese Hürden jedoch erfolgreich meistern.
Jeder Roman braucht gute Figuren. In Ihrem ICH-Buch sind das die «Wundernase» und der «Schlaumeier». Wie haben Sie die beiden entwickelt und welche Rolle spielen sie im Buch?
Das ICH-Buch kombiniert Wissensvermittlung mit Selbstwahrnehmung und Selbsterfahrung. Um dies kinderfreundlich zu gestalten, war mir schnell klar, dass Leitfiguren erforderlich sind. So entstanden die Figuren „Wundernase“ und „Schlaumeier“.
„Wundernase“ stellt neugierige Fragen, während „Schlaumeier“ die komplexen Funktionen der Organe und schwierigen Begriffe kindgerecht erklärt. Beide Figuren geben zudem praktische Tipps für das Selbstmanagement, wodurch sie den Kindern auf verständliche und unterstützende Weise durch das Buch helfen.
Was sind für Sie die wichtigsten Lernziele des ICH-Buches, die Sie den Kindern und ihren Familien vermitteln möchten?
Das Hauptziel des ICH-Buches ist es, Kinder und Jugendliche mit eingeschränkter Blasen- und/oder Darmfunktion sowie deren Familien durch gezielte Wissensvermittlung im Selbstmanagement zu unterstützen und zu stärken. Dadurch soll ihre Selbstkompetenz gefördert und ihnen geholfen werden, ihren Alltag selbstbewusster zu meistern.
Im ICH-Buch gibt es verschiedene interaktive Elemente. Wie helfen diese, insbesondere die QR-Codes, den Kindern das Thema besser zu verstehen?
Im ICH-Buch sind verschiedene interaktive Elemente, insbesondere QR-Codes, integriert, um den Kindern das Thema anschaulicher zu vermitteln. Die QR-Codes bieten einerseits Unterhaltung, wie z.B. Lieder, und andererseits informative Videos, wie z.B. den „PupCheck“ von Checker Tobi, der Anatomiewissen kindgerecht erklärt. Darüber hinaus bieten einige QR-Codes einen schnellen Zugang zu weiteren Informationen und Hilfestellungen. Diese interaktiven Elemente sollen die Kinder motivieren, das Buch immer wieder zur Hand zu nehmen und so ihre Selbstwirksamkeit zu stärken.
Feedbacks sind wichtig. Welche Rückmeldungen haben Sie bisher von Kindern und Eltern zum Buch erhalten?
Wir haben erst vor kurzem begonnen, die Bücher in der Sprechstunde zu verteilen, daher haben wir noch keine umfassenden Rückmeldungen. Ich habe aber schon beobachtet, dass die Kinder positiv auf das Buch reagieren und gerne darin blättern.
Liebe Frau Huber, wir bedanken uns ganz herzlich bei Ihnen für das aufschlussreiche und inspirierende Gespräch. Ihre Leidenschaft und Ihr Engagement für Kinder und Jugendliche mit neurogenen Blasen- und Darmfunktionsstörungen sind beeindruckend und von unschätzbarem Wert. Das ICH-Buch, das Sie entwickelt haben, ist ein bedeutender Beitrag, der nicht nur den betroffenen Familien wertvolle Unterstützung bietet, sondern auch für uns als Dienstleister eine wichtige Ressource darstellt.
Für die Zukunft wünschen wir Ihnen viel Erfolg und alles Gute und freuen uns auf eine weitere gute Zusammenarbeit. Vielen Dank, dass Sie sich für uns Zeit genommen haben.